Schamanisches Reisen am Beispiel einer Klientin
- Joachim Fischer
- 20. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Mai

" Ich liege auf den Wipfeln eines himmelshohen Baumes. Ich lasse mich fallen und sinke langsam durch das Blattwerk. Immer tiefer falle ich durch das Geäst und fließe schließlich am Stamm entlang bis zur Erde. Dort sinke ich in das Erdreich ein, tiefer und tiefer, dann durch Gesteinsmassen und schließlich wieder durch Erde bis in das Zentrum derselben.
Ich fließe in eine Höhle hinein. An einem Ende dieser Höhle kann ich hinter einer Schwelle einen Tunnel erkennen. Ich bitte den Wächter der Schwelle um Einlass. Ich bitte ihn, mir zu helfen, mich selbst zu vereinen und ich bitte darum, den Glauben an mich selbst zu finden.
Der Wächter schreitet in seiner Robe zur Seite und gibt den Weg frei. Ich gehe in den Tunnel, der von Magma in den Wänden erleuchtet ist. Ich gehe bis zum Ende des Tunnels und finde mich an einem toten Ende in einem winzigen Raum wieder, in dem ich mich gerade drehen kann. Der weitere Weg ist mir verschlossen, keine Abzweigung zeigt sich und ich beginne zu verzweifeln. „Bitte", rufe ich, „hilf mir!" Ich weine und rufe immer wieder „Bitte hilf mir!" Ich glaube nicht, dass ich den Weg finden kann. Ein großer Punkt an der rechten Wand, etwa so groß wie meine Hand, leuchtet immer wieder weiß auf. Ich ahne, dass ich ihn berühren soll, er wirkt wie eine Schaltfläche. Ich ahne, dass mich dieser Punkt irgendwohin führen wird, aber ich fürchte mich. Aber schließlich sehe ich ein, dass keine weitere Hilfe kommen wird und ich an diesem toten Ende gefangen sein werde, wenn ich den Punkt nicht berühre. Also strecke ich meine Hand aus .
und falle in die Schwerelosigkeit. Ich schwebe in einer Art Wolke in der Dunkelheit. Viele kleine dunkelblaue Pünktchen leuchten um mich herum, in einer Art Netz durch feine dunkelblaue Linien verbunden. Sie erinnern mich an ein Atommodell. Im Innern des Netzes, in dem ich schwebe, ist ein dunkelblau leuchtender Nebel. Ich fühle mich leicht und sicher. Ich möchte nicht fort. Doch nach einer Weile beruhigt sich mein Geist und ich weiß, ich kann nicht bleiben, muss den Weg fortsetzen und lasse mich wieder fallen in eine vollkommene Schwärze. Ich falle durch die vollkommene Nacht immer weiter. Ich habe Angst vor der Finsternis.
Ich fürchte mich, andererseits fühle ich mich immer noch leicht und nach einer Weile weicht die Angst einem neuerlichen Gefühl von Sicherheit. Im Nichts kann mir nichts wiederfahren. Ich falle und falle wie Alice im Wunderland durch das Kaninchenloch und fühle mich sicher im Nichts. Bis mir klar wird, dass ich mich auch hiervon trennen muss.
Ich falle in den Gang der Höhle, der nun kein totes Ende mehr ist, sondern zwei Abzweigungen hat. Sie sind winzig, wie in Alice im Wunderland. Ich stehe dort und frage mich, warum die Wege so winzig sind, aber dann denke ich: „Es wird schon passen, schließlich bin ich hier." Ich entscheide mich also für den rechten Gang, tue einen Schritt und werde in den dahinter liegenden Gang hineingesaugt.
Dort ist wieder vollkommene Schwärze. Wieder fürchte ich mich vor der Dunkelheit. Ich kann nichts sehen, sehe nicht, wohin ich gehe und was auf mich lauert. Ich gerate in Panik. Aber dann lasse ich wieder los und gehe, gehe einfach einen Schritt nach dem anderen. Plötzlich trifft mich ein Hieb an der Wange. Es ist kein Messer und keine Hand, eher wie ein elektrischer Schlag, der meine Haut aufplatzen lässt. Ich fürchte mich immer noch, aber ich gehe weiter.
Dann komme ich wieder an ein totes Ende. Dort sitze ich, zusammengekauert in der winzigen Zelle, die das Ende bildet. Mein vollkommenes Ebenbild sitzt dort und weint. Sie kann mich nicht sehen, ist blind vor Schmerz und Verzweiflung. Ich habe einen momentanen Impuls, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten, aber ich tue es nicht.
Nun flackert das Bild, aus meinem Ebenbild wird ein kleines Mädchen. Ich verstehe nun, das ist das kleine Mädchen, das geschlagen worden ist. Das Bild flackert immer wieder hin und zurück. Ich widerstehe dem Impuls, zu trösten, denke: „Das ist vergangen." Schließlich sehe ich, dass sich rechts ein Weg geöffnet hat. Ich werfe einen letzten Blick auf das kleine Mädchen und mein Ebenbild und lasse sie zurück.
Der Gang ist nicht mehr so dunkel wie der letzte, er ist schwach erleuchtet und braun. Ich gehe aufrechter hindurch. Plötzlich höre ich das Wort „Liebe" und mich durchfährt ein heftiger Schmerz in der Brust. Mein Herz schmerzt. Ich halte mir die Brust und gehe weiter. Ich frage mich, ob es die Erinnerung an gescheiterte Lieben ist, die den Schmerz verursacht hat. Doch ich gehe weiter und nun höre ich weitere Worte: „Ich bin hier." und „Ich warte auf dich." und wieder „Ich bin hier." Ich frage mich, wer auf mich wartet und stehe schließlich in einem weiteren toten Ende vor ihr.
Mein Ebenbild, mein erwachsenes Ebenbild steht vor mir. Und wir haben beide von heftiger Sehnsucht Tränen in den Augen und fallen uns in die Arme. Wir umarmen und drücken uns und verstehen stumm die Gefühle des anderen: „Ich habe dich so vermisst." und „Endlich!" Nun nimmt mein Zwilling meine Hand und geht mit mir in den Tunnel der sich geöffnet hat. Er ist hell erleuchtet und aufrecht schreiten wir in das Licht."
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